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Abhängige - nur ein paar Außenseiter?
Denken Sie einmal an Ihre Kindheit zurück: Fällt Ihnen da nicht vielleicht der Onkel ein, der auf Feiern immer hemmungslos peinliche Lieder grölte? Die Nachbarin, die nervös in ihrer Handtasche nach dem Pillendöschen suchte? Der Zahnarzt mit der Fahne? Die Freundin, die niemanden mit zu sich nach Hause nehmen wollte? Und die Erwachsenen tuschelten vielleicht oder schwiegen betreten oder machten abfällige Bemerkungen? Erinnern Sie sich? Sicher fällt Ihnen auch ein Beispiel ein. Von Kindheit an nehmen wir die Auswirkungen von Abhängigkeit wahr, auch wenn wir das erst viel später so interpretieren können. Denn Suchtkrankheit ist ein großes gesellschaftliches Problem, das sich durch alle Schichten und Altersstufen zieht.
In konkreten Zahlen ausgedrückt: In Deutschland gibt es
- 14,7 Millionen Raucher/-innen,
- 1,77 Millionen Alkoholabhängige (plus fast noch einmal ebenso viele mit missbräuchlichem Konsum),
- zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Medikamentenabhängige,
- 600.000 Menschen, die von illegalen Drogen abhängig sind,
- schätzungsweise 560.000 Onlinesüchtige und
- rund 500.000 Menschen, die pathologisches Glücksspielverhalten zeigen.
- Über 150.000 Menschen sterben insgesamt an den Folgen ihrer Suchtkrankheit.
- 10.000 Kinder werden mit Schädigungen durch den Alkoholkonsum ihrer Mütter geboren,
- rund 2,6 Millionen Kinder wachsen in suchtbelasteten Familien auf.
(Quelle: Suchtsurvey, DHS u. a., siehe "Links zu Fakten, Daten und Zahlen")
Diese Abhängigen haben Familie, Freunde, Arbeitskolleg/-innen... Vor allem nahe Angehörige sind gefährdet, durch aufopferndes, "beschützendes" Verhalten selbst krank zu werden oder in eine Co-Abhängigkeit zu geraten. Suchtkrankheiten verursachen nicht nur Folgekrankeheiten, sondern zerrüttete Familien, gesellschaftliche Außenseiterstellung, Arbeitslosigkeit, Verschuldung...
Abhängigkeit zieht also erhebliche gesundheitliche, soziale und volkswirtschaftliche Probleme nach sich. Abhängigkeit betrifft unsere Gesellschaft als Ganzes!
"Selbst schuld"?
Eine häufig zu hörende Meinung ist, dass doch jeder die Wahl hat - ob er beispielsweise ein Glas Wein trinkt, ein Schlafmittel einnimmt, Geld in den Spielautomaten wirft, vor dem Computer sitzen bleibt, ... Sicher. Das Problem ist: Abhängigkeit entsteht (meist) schleichend. Vom gelegentlichen Konsum (bzw. Verhalten) kommt es zur Gewöhnung, bei Nachlassen der Wirkung zur Steigerung der Dosis - so lange, bis ein "unausweichliches Verlangen" den Menschen beherrscht. An diesem Punkt wird von Abhängigkeit gesprochen. Im Prinzip ist jeder gefährdet. Doch nicht jeder, der gelegentlich eines der genannten Mittel konsumiert, wird abhängig. Woran liegt das?
Heute ist erforscht, dass biologische, soziale und psychologische Faktoren eine Rolle dabei spielen, ob aus Konsum Abhängigkeit wird. Daher spricht man auch von einem Abhängigkeitssyndrom, das als Krankheit gezielt und individuell behandelt werden muss. Im Klartext: Ein Kind mit einem relativ schwachen körpereigenen Belohnungssystem, das in einer suchtbelasteten Familie und einem Umfeld mit negativen Vorbildern aufwächst, ist um ein Mehrfaches gefährdet, später selbst eine Abhängigkeit zu entwickeln. Generell stammen Abhängige aber aus allen sozialen Schichten. Eine bestimmte "Suchtpersönlichkeit" konnte ebenfalls nicht festgemacht werden: Bei Abhängigen und Nicht-Abhängigen finden sich gleichermaßen die unterschiedlichsten Charaktere.
"Lass es doch einfach!"?
Einfaches Vermeiden des Suchtmittels, auch nach einem körperlichen Entzug und/oder einer kurzen Therapie, reicht eben nicht. Die Automatismen, die einer Suchtkrankheit zugrunde liegen, sind komplexer. Durch den anhaltenden Missbrauch einer Substanz oder ein fortgesetzt schädliches Verhalten wird das körpereigene Belohnungssystem quasi falsch "trainiert" (konditioniert, wie es in der Psychologie heißt). Suchtmittel werden konsumiert, um positive Gefühle (scheinbar) zu verstärken oder negative Gefühle (scheinbar) zu unterdrücken. Bei einem Abhängigen geht das so weit, dass ihm in Krisen- oder Unsicherheitssituationen im Alltag keinerlei Handlungsalternativen mehr zum Konsum zur Verfügung stehen. Daher muss eine Behandlung weit über die akute Entzugsphase hinausgehen. Die "eingefahrenen Straßen" müssen wieder umgeleitet werden - und dies dauert.
Hier setzen auch Selbsthilfegruppen an: Die Gruppe unterstützt den/die einzelne/n Abhängige/n in seiner bzw. ihrer Motivation abstinent zu leben, stabilisiert durch den Austausch und Rückhalt die Persönlichkeit und stärkt das Selbstbewusstsein. Abhängige gewinnen so wieder Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit und entwickeln Eigenverantwortung. Durch diese Persönlichkeitsentwicklung kann der bzw. die Betroffene dann letztendlich auch alternative Mechanismen bei Problemen oder Konflikten eintrainieren. Das heißt, dass nicht mehr der Verzicht auf ein Mittel oder Verhalten im Vordergrund steht, sondern direkt ein ein anderes, der Situation angemessenes und wirklich wirksames Verhalten.
Wir wollen nicht alle Zahlen oder sämtliche Untersuchungen zum Thema aufführen. Stattdessen haben wir für Sie auf den folgenden Unterseiten einige sehr gute und umfassende Informationsquellen zusammengestellt. Zusätzlich finden Sie beispielhaft einige Medien angegeben, die verschiedene Aspekte der Sucht veranschaulichen.